WV Stahl
blogbeitrag

Interview mit Dr. Michael Böhmer (Prognos AG): „Die Transformation kann mit dem richtigen politischen Rahmen gelingen“

Die Studie „Transformationspfade für die Stahlindustrie in Deutschland“ der Prognos AG zeigt, unter welchen Bedingungen die Transformation der Stahlindustrie hin zur Klimaneutralität gelingen kann. Über die Ergebnisse haben wir mit Dr. Michael Böhmer, Chief Economist Corporate Solutions Prognos AG, gesprochen.

Vor welchen Herausforderungen steht die Stahlindustrie in Deutschland mit Blick auf die Klimapolitik?

Die Stahlindustrie ist für ungefähr ein Drittel der gesamten CO2-Emissionen der Industrie in Deutschland verantwortlich, hat sich aber gleichzeitig zur Klimaneutralität 2045 bekannt. Das stellt die Branche vor eine Riesenherausforderung. Zum einen muss die Stahlindustrie jetzt nach und nach auf andere Produktionsverfahren wie die Wasserstoffdirektreduktion umstellen, mit der emissionsfrei produziert werden kann. Auf der anderen Seite muss sie auch während des Transformationsprozesses, mit der alten Technologie und trotz steigender CO2-Preise weiterhin wettbewerbsfähig produzieren können.

In einer neuen Studie beschreiben Sie die Transformationspfade für die Primärstahlproduktion in Deutschland. Was sind die zentralen Ergebnisse?

Wir haben untersucht, ob und wie die Transformation gelingen kann. Und das Ergebnis ist: Ja, sie kann gelingen. Dies ist dann der Fall, wenn im Jahr 2045 im Vergleich zu heute annähernd gleich viel Stahl in Deutschland produziert wird und es keine Beschäftigungs- und Wertschöpfungsverluste gibt. Dafür müssen jedoch die politischen Rahmenbedingungen stimmen, mit denen auch Carbon Leakage, also die Verlagerung von CO2-Emissionen ins Ausland, vermieden wird.



Welche konkreten politischen Instrumente braucht es, damit die Umstellung auf klimaneutrale Produktionsprozesse möglich wird?

Man muss berücksichtigen, dass sich die Transformation über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahrzehnten erstreckt. Für die Umstellung der Anlagen von der konventionellen Hochofen-Konverter-Route auf die Wasserstoff-Direktreduktion liegen die dazu notwendigen Investitionsausgaben um ungefähr 1,2 Milliarden Euro höher als für die konventionelle Technologie. Damit diese Transformation gelingt, sind sowohl für diese Investitionen als auch für die höheren Betriebskosten Zuschüsse notwendig. Zudem ist es wichtig, dass die steigenden CO2-Preise für jene Anlagen, die noch nicht transformiert sind, weiterhin kompensiert werden. Dadurch kann ein CO2-Kostennachteil gegenüber dem Ausland vermieden und die Basis dafür geschaffen werden, dass in den nächsten Jahren die Anlagen überhaupt transformiert werden können.

Was passiert, wenn diese Instrumente nicht bereitgestellt werden?

Wenn weder ein wirksamer Schutz vor Carbon Leakage bereitgestellt noch die Stahlindustrie bei der Transformation hin zur Klimaneutralität unterstützt wird, kommen wir in die Situation, dass das einzelne Unternehmen vor der Entscheidung steht: Transformiere ich auf Wasserstoff-Technologie oder nicht? Rein betriebswirtschaftlich ist eine Transformation ohne Unterstützung nicht möglich. Andererseits ist man mit steigenden CO2-Preisen in der konventionellen Route konfrontiert, hat dadurch Wettbewerbsnachteile gegenüber dem Ausland und wird aufgrund dieser Wettbewerbsnachteile schon vor der Transformation aus dem Markt ausscheiden. In der Summe würde das bedeuten, dass es in 25 Jahren in Deutschland keine Stahlindustrie mehr geben würde. Davon wären etwa 200.000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt betroffen und würden wegfallen.

Sind die derzeitigen Fit-for-55-Pläne ausreichend, um die Stahlindustrie bei der Transformation zu unterstützen?

Die Fit-for-55-Pläne der Europäischen Kommission haben zwei Komponenten, die die Stahlindustrie betreffen. Zum einen sollen die bislang weitgehend kostenlosen Zertifikate im EU-Emissionsrechtehandel ab dem Jahr 2026 langsam auslaufen. Dies hat zur Folge, dass wir dann in Europa höhere CO2-Preise haben werden als im außereuropäischen Ausland. Um diese Kostendifferenz auszugleichen, plant die EU mit dem CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism) eine Abgabe an der Grenze.

Dieser Mechanismus, also die Kostenunterschiede an der Grenze auszugleichen, ist eigentlich eine bestechende Idee, bringt aber zwei Probleme mit: Erstens sind eine Reihe von handelsrechtlichen, insbesondere auch handelspolitischen Fragen noch nicht geklärt. Hinzu kommt, dass man nicht weiß, ob der CBAM einen vollständigen Schutz bietet oder ob es Umgehungsmöglichkeiten gibt und so günstigerer Stahl trotzdem nach Europa importiert werden kann. Zweitens wird die Export-Seite durch dieses Instrument nicht berücksichtigt. Die deutsche Stahlindustrie exportiert rund 20 Prozent ihrer Produktion in das außereuropäische Ausland und muss dort die höheren CO2-Kosten aufbringen, die aber an der Grenze nicht ausgeglichen werden. Unsere Modellrechnungen zeigen, dass in etwa diese 20 Prozent an Produktion in Deutschland wegfallen würden, wenn man den Vorschlägen der Europäischen Kommission folgen würde. Das heißt, die Transformation würde nicht in dem Maße gelingen, wie das in einem anderen Regime mit anderen Instrumenten möglich wäre.

 Vielen Dank für das Gespräch.