WV Stahl
blogbeitrag

Stahljahr 2022: Zeitenwende, Energiekrise und Transformation

aus Engagement für Stahl – Jahresbericht 2022

2022 versprach das Jahr zu werden, in dem der politische Rahmen für eine erfolgreiche Transformation durch die neue Bundesregierung festgezurrt werden sollte. Folglich eine entscheidende Zeit für die Stahlindustrie in Deutschland, will sie doch mit ihren Dekarbonisierungsprojekten durchstarten. Und auch konjunkturell gab es ein leicht positives Signal: Erstmals seit drei Jahren war die Rohstahlproduktion wieder angestiegen und landete knapp über der 40-Millionen-Tonnen-Grenze. Doch mit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar änderte sich nicht nur die politische Agenda schlagartig. Seitdem gilt es, eine so noch nie dagewesene Energiekrise zu bewältigen. Und auch die konjunkturellen Auswirkungen sind nicht zu übersehen: Lieferkettenprobleme und eine schleppende Weltkonjunktur belasten die Entwicklung bei wichtigen stahlverarbeitenden Branchen in Deutschland und Europa. Dies hinterlässt auch merkliche Bremsspuren in den Mengenindikatoren der Stahlindustrie.

Vor diesem Hintergrund wird die Mammutherausforderung Transformation in Richtung Klimaneutralität noch weit größer. Trotzdem halten die Unternehmen an ihren Plänen fest: Das Ziel, bis 2030 erhebliche Mengen CO2 einzusparen, bleibt bestehen – ebenso, dass nun rasch unterstützende Rahmenbedingungen auf den Weg gebracht werden müssen.

Bremsen lösen – ambitionierter Start der Ampelregierung

Die neue Bundesregierung startete in das Jahr 2022 mit ehrgeizigen Plänen zu Klimaschutz und Transformation. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, sprach bei der Vorstellung seiner Eröffnungsbilanz im Januar von einer nötigen Verdreifachung der Geschwindigkeit bei der Emissionsminderung, um die gesetzten Ziele realisieren zu können. Von rund 15 Millionen Tonnen CO2-Reduktion als Durchschnitt des letzten Jahrzehnts sollte Deutschland demnach auf 36 bis 41 Millionen Tonnen pro Jahr bis 2030 kommen. Dafür versprach die Politik Bremsen zu lösen, die eine Transformation zur Klimaneutralität bisher verlangsamt hätten.

Erste wichtige Rahmenbedingungen für die Transformation und den Ausbau der erneuerbaren Energien wurden im sogenannten Osterpaket auf den Weg gebracht, weitere im darauffolgenden Sommerpaket. Dazu sollte auch ein Regelwerk für Klimaschutzverträge (Carbon Contracts for Difference, CCfDs) zählen – ein Instrument, mit dem die Mehrkosten für eine grüne Stahlproduktion ausgeglichen werden können. Genau darauf warten die Stahlhersteller mit ihren milliardenschweren Dekarbonisierungsprojekten, um bei der Transformation durchstarten zu können. Sie wollen ihre vorhandenen Potenziale zu einer erheblichen CO2-Reduktion durch Investitionen in neue Produktionsverfahren heben und dadurch zum gesamtgesellschaftlichen Anliegen Klimaschutz beitragen. Dafür brauchen sie vor allem Handlungssicherheit von Seiten der politischen Entscheider.

Die Voraussetzungen dafür sind gegeben: Die Politik hat in weiten Teilen erkannt, dass gerade die Stahlindustrie über eine gewaltige Hebelkraft für Emissionsminderungen verfügt. Schließlich kann die Branche mit den richtigen Rahmenbedingungen schon bis 2030 ein Drittel ihrer CO2-Emissionen einsparen. Gleichzeitig verfügt die Stahlindustrie über die beste Bilanz für eingesetzten klimaneutralen Wasserstoff: Mit jeder eingesetzten Tonne lassen sich 28 Tonnen CO2 einsparen. Damit ist die Stahlindustrie im Vergleich zu anderen Branchen in der Spitzenposition und bietet den besten Wechselkurs im Verhältnis von eingesetzten Mitteln und erzieltem Klimaschutz. Bereits früh im Jahr wird jedoch deutlich, dass der vermeintliche deutsche „Transformationsturbo“ durch Brüssel ausgebremst werden könnte. Denn dem Green Deal als Rahmenwerk für die Dekarbonisierung fehlt bislang eine industriepolitische Perspektive. Im Fit-For-55-Paket sind viele Fragezeichen aufzulösen – vom EU-Emissionsrechtehandel bis hin zur Ausgestaltung der europäischen Rahmenbedingungen für Wasserstoff und grünen Strom. Gerade die Pläne zur Einführung eines noch unerprobten CO2-Grenzausgleichs (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) mit einer gleichzeitigen Abschmelzung der freien Zertifikate im EU-Emissionsrechtehandel drohen zu erheblichen Mehrbelastungen für die Unternehmen zu führen und so die Transformation erheblich zu erschweren. Auch die Freigabe von wegweisenden Wasserstoffprojekten im Rahmen der IPCEIs (Important Projects of Common European Interest) seitens der EU-Kommission lässt teilweise bis heute auf sich warten. Es gibt also viele Themen, bei denen es auf eine entschiedene Unterstützung der Bundesregierung ankommen sollte.

Krieg und Zeitenwende

Mit dem 24. Februar änderte sich das Umfeld grundlegend. Der russische Angriff auf die Ukraine führt zu bisher im Nachkriegseuropa unvorstellbarem Leid, schnell aber auch zu einer großen Solidarität mit den betroffenen Menschen und Widerstandswillen gegen die Verantwortlichen. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach noch im Februar von einer Zeitenwende, die u. a. ein Umsteuern bei der Importabhängigkeit von einzelnen Energielieferanten wie Russland bedeute. Eine verantwortungsvolle Energiepolitik sei nicht nur entscheidend für unsere Wirtschaft und unser Klima, sondern auch für unsere Sicherheit. In der Tat war der Anteil Russlands an der deutschen Gasversorgung bis 2021 auf einen Anteil von 55 Prozent gestiegen. Jetzt kommt es darauf an, diese Energieabhängigkeit so rasch wie möglich zu beenden und zugleich Schäden für Wirtschaft, Industrie und Beschäftigte zu vermeiden.

Die strategische Resilienz Europas wird zu einem vielzitierten Stichwort. In diesem Zusammenhang bekommt die Transformation zur Klimaneutralität weg von fossilen Energien eine neue, eine sicherheitspolitische Dimension. Der Werkstoff Stahl und intakte Wertschöpfungsketten sind dafür unverzichtbar, gerade um kurzfristig Versorgungsabhängigkeiten zu reduzieren. Kritische Infrastrukturen wie Pipelines für eine sichere Energieversorgung oder Windräder für grünen Strom gibt es nur mit Stahl.

Deutlich wurde aber auch, dass die Auswirkungen des Kriegs Deutschlands Wirtschaft stark treffen würden. Dies gilt für die erlassenen Sanktionen und Gegensanktionen, einbrechende Umsätze und Lieferengpässe bei wichtigen Rohstoffen und Vorprodukten bei gleichzeitig stark wachsenden Kosten. Über die vielfältigen Liefer- und Wertschöpfungsketten ist nach den Monaten des fortdauernden Kriegs nahezu jedes Unternehmen und jede Branche betroffen, wobei die indirekten Folgen noch viel massiver für die gesamte deutsche Wirtschaft sind als die direkten Auswirkungen.

Erdgas und Stahl

Sehr schnell rückte für die Stahlindustrie und weitere energieintensive Branchen die Gasversorgung in den Vordergrund. Schließlich verbraucht die Stahlindustrie in Deutschland jährlich rund 2 Mrd. m3 Erdgas pro Jahr und macht damit 2,3 Prozent des gesamten Erdgasverbrauchs in Deutschland aus. Diese Menge entspricht etwa dem Bedarf der Bevölkerung der beiden Großstädte Berlin und München. Kurzfristig ist Erdgas in der Stahlproduktion und auch -weiterverarbeitung kaum ersetzbar. Es wird hier im Wesentlichen zur Erzeugung von Prozesswärme eingesetzt, beispielsweise zur Heißwinderzeugung am Hochofen, zur Unterfeuerung der Kokereien und für Wiedererwärmungsöfen in den Walzwerken.

Trotzdem konnte die Stahlindustrie ihren Erdgasverbrauch im ersten Halbjahr um insgesamt ca. 14 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum senken. Diese eingesparten Gasmengen haben bereits geholfen, die Speicher zu füllen und auf diese Weise eine mögliche spätere Mangelsituation zu entlasten. Damit haben die Betriebe ihre Potenziale allerdings weitgehend ausgeschöpft. Weitere Einsparungen durch technische Maßnahmen oder einen Brennstoffwechsel sind kaum noch möglich.

Wenn es zu einer Rationierung der Gasmengen kommen sollte, muss sichergestellt werden, dass die Lieferketten so weit wie möglich intakt gehalten werden und die Stahlindustrie weiter ihren Beitrag zur Versorgung der Industrie mit dem Basisgrundstoff Stahl erbringen kann. Vorleistungen durch bereits erfolgte Einsparungen müssen anerkannt werden.

Explodierende Energiekosten

Neben einer drohenden Erdgasrationierung hat sich die Energiekostenexplosion für die Stahlindustrie zu einer existenziellen Belastung entwickelt: In der Spitze musste die Branche im Herbst 2022 mit jährlichen Mehrkosten von über 10 Milliarden Euro im Vergleich zum Anfang des Vorjahrs rechnen. Dies entspricht rund einem Viertel des Umsatzes, den die Stahlindustrie in Deutschland in den vergangenen Jahren durchschnittlich erzielt hat. Zudem sind die Erdgaspreise um ein Vielfaches höher als in den USA und auch weit höher als in Asien. Entsprechendes gilt für die Stromkosten. Beides zusammen bedeutet eine wachsende Gefahr für die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Stahlstandorts und der Wertschöpfungsketten.

Erste Antworten der Politik

Um den drastischen Energiepreisanstieg zu dämpfen, hat die Bundesregierung einen Abwehrschirm in Höhe von 200 Milliarden Euro und die Einführung einer Gas- und Strompreisbremse beschlossen. Für jeweils 70 Prozent einer Verbrauchsmenge sollen die Gas- und Strompreise durch staatliche Zuschüsse gedeckelt werden. Auch wenn diese Maßnahmen für energieintensive Industrien wie die Stahlindustrie bei weitem noch nicht zu einem Energiepreisniveau führen, mit dem internationale Wettbewerbsfähigkeit hergestellt wird, so sind sie ein wichtiger Schritt zur Überbrückung der akuten Krise und daher grundsätzlich zu begrüßen. Ziel ist, die energieintensiven Industrien und die industriellen Wertschöpfungs- und Lieferketten zu erhalten und nachhaltige Schäden an der industriellen Basis abzuwenden. Dafür müssen die geplanten Entlastungen bei den Energiepreisen für die Unternehmen schnell, unbürokratisch und in ausreichendem Umfang ankommen. Der von der EU-Kommission vorgelegte angepasste temporäre Krisenbeihilferahmen stellt die Umsetzung der Gas- und Strompreisbremse für die  energieintensiven Industrien jedoch weiterhin vor massive Hürden. Hierfür müssen dringend Lösungen gefunden werden.

Die vorgesehenen Preisdeckelungen für Strom und Gas sind ein wichtiger erster Schritt zur Überbrückung der akuten Krise. Sie führen aber auf Dauer im internationalen Vergleich, etwa zu den USA oder auch dem mittleren Osten, nicht zur Wettbewerbsfähigkeit und dürfen daher nicht das Preisniveau im „neuen Normal“ darstellen.

Für die mittlere und lange Sicht sollte die Bundesregierung daher Zielkorridore für künftige Gas- und Strompreise beschreiben, die sich am durchschnittlichen Niveau der Energiepreise großer Industrieländer außerhalb der EU bemessen. Um dies zu erreichen, müssen mittel- und langfristig für die Strom- und Gasmärkte systemische Lösungen entwickelt werden, um in Deutschland und der EU auf Dauer international wettbewerbsfähige Energiepreise für energieintensive Grundstoffindustrien wie den Stahl zu ermöglichen und die Basis für die Transformation hin zu einer klimaschonenden Stahlerzeugung zu legen.

Wertschöpfungsketten unter wachsendem Druck

Deutschlands industrielles Geschäftsmodell beruht auf eng miteinander verzahnten Produktionsstufen; von Basisindustrien wie Stahl bis hin zu komplexen Endprodukten wie Maschinen und Fahrzeugen, die den Erfolg von „Made in Germany“ ausmachen. Diese Wertschöpfungsketten geraten mit der Energiekrise immer stärker unter Druck und bekommen an ersten Stellen Risse. Es drohen Verwerfungen, mit denen dauerhaft industrielle Strukturen zerstört werden, die Deutschland für seinen langfristigen Wohlstand braucht.

In dieser Situation kommt es darauf an,  energieintensive industrielle Produktion in Deutschland zu halten und eine Verlagerung der Wertschöpfung in Länder mit billigerer Energie zu verhindern. Schließlich sind energieintensive Produktionsprozesse fest in leistungsfähige Wertschöpfungsverbünde integriert. Diese heute zu kappen, hätte massive Auswirkungen auf die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit zahlreicher anderer Branchen.

Eine Studie von IW Consult weist auf einen weiteren Faktor hin: Demnach ist gerade die Stahlindustrie in Deutschland von besonders niedrigen Nachhaltigkeitsrisiken in ihren Liefer- und Wertschöpfungsketten geprägt. Mit ihrer besonderen Stellung am Beginn der industriellen Wertschöpfung hat die Stahlindustrie in Deutschland nicht nur eine erhebliche wirtschaftliche,
sondern auch ökologische und soziale Bedeutung für das nachgelagerte verarbeitende Gewerbe.

Stahlindustrie steht zur Transformation und Klimaneutralität

Auch wenn die Energiekrise die Stahlindustrie zu einer Zeit trifft, in der sie alle Kraft für ihren Weg in die Klimaneutralität benötigt: Die Stahlunternehmen halten an ihren Dekarbonisierungsplänen fest. Richtig ist aber auch, dass nun die Politik noch stärker gefragt ist, die Rahmenbedingungen für die Transformation angesichts der Zeitenwende auch über unmittelbare Hilfsmaßnahmen zur Energiekrise hinaus weiter anzupassen. Ein beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien ist dafür von entscheidender Bedeutung. Grüner Strom und Wasserstoff müssen in ausreichender Menge und zu wettbewerbsfähigen Preisen der Stahlindustrie zur Verfügung stehen, damit die Transformation gelingen kann. Dafür braucht es den schnellen Auf- und Ausbau von inländischen Erzeugungskapazitäten sowie, besonders für Wasserstoff, die Schaffung von Importmöglichkeiten. Bis das in ausreichendem Maße der Fall ist, wird auch Erdgas in der Übergangszeit noch eine Rolle spielen müssen.

Klimaschutzverträge und grüne Leitmärkte

Ein entscheidendes Element für die Transformation sind Klimaschutzverträge, wie sie von der Bundesregierung schon in der nationalen Wasserstoffstrategie und im Koalitionsvertrag angekündigt wurden. Sie dienen dazu, die Mehrkosten der CO2-armen Produktionsverfahren im laufenden Betrieb auszugleichen, so dass sich Investitionen in klimafreundliche Produktionsverfahren rechnen. Zur Absicherung dieser Investitionen sind sie unerlässlich, da klimafreundlicher Stahl derzeit noch nicht wettbewerbsfähig ist.

Über dieses Thema hinaus ist die Wirtschaftsvereinigung Stahl im Dialog mit der Politik zur Schaffung von grünen Leitmärkten. Diese spielen für klimaneutrale Grundstoffe wie grünen Stahl eine zentrale Rolle, um die industrielle Transformation auf der Nachfrageseite voranzubringen. Gleichzeitig verringern sie den Bedarf an staatlicher Anschubfinanzierung so lange, bis diese schließlich überflüssig wird.

Solche Märkte für klimafreundliche Produkte können sich nur dann entwickeln, wenn sie auf klaren Definitionen für grünen Stahl aufbauen. Zentral ist insbesondere, dass für jeden Abnehmer erkennbar sein muss, welche CO2-Emissionen in einem Stahlfertigprodukt enthalten sind. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl hat im Dialog mit zahlreichen Stakeholdern einen Vorschlag für ein entsprechendes Labelsystem entwickelt, das darüber hinaus transformative Schritte hin zu CO2-Emissionssenkungen im Gesamtsystem berücksichtigt. Im globalen Kontext wird dieses Thema mit der Internationalen Energie Agentur und den G7-Staaten im Rahmen ihrer Industrial Decarbonisation Agenda (IDA) diskutiert. Deutschland mit seinen starken industriellen Wertschöpfungsketten, in denen der Werkstoff Stahl eine entscheidende Rolle spielt, sollte diese Rahmenbedingungen entscheidend mitgestalten. Dann kann der Industrie- und Stahlstandort Deutschland ein führender Leitmarkt für grünen Stahl mit starken heimischen Unternehmen werden.

Drohende Belastungen aus Brüssel

Unabhängig von Zeitenwende und Energiepreiskrise haben die Verhandlungen zu Green Deal und Fit for 55 ab Frühjahr 2022 in Brüssel an Fahrt aufgenommen. Im Zentrum stehen die Revision der Emissionshandelsrichtlinie und die Einführung eines CO2-Grenzausgleichs (CBAM) im Rahmen des Fit-for-55-Pakets.

Eine von der Wirtschaftsvereinigung Stahl in Auftrag gegebene Studie der Prognos AG zeigt, dass eine erfolgreiche Transformation der Primärstahlproduktion möglich ist und bereits bis 2035 ein großer Teil der zum Erreichen von Klimaneutralität notwendigen Investitionen auf den Weg gebracht werden kann. Dies steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Branche gewahrt und ein effektiver Carbon-Leakage-Schutz bereitgestellt wird. Die Pläne der EU-Kommission gefährden vor diesem Hintergrund den Erfolg der Transformation. Mit dem Abbau der freien Zuteilung bis 2035 und der Einführung eines nicht wirksamen CO2-Grenzausgleichs würden Produktionskapazitäten in beträchtlichem Maße verloren gehen. Die Produktion wie die CO2-Emissionen verlagerten sich damit ins Ausland. Selbst bei idealtypischen Bedingungen drohen 40.000 Arbeitsplätze verloren zu gehen. Im schlimmsten Fall kollabiert die Hochofen-Konverter-Route, bevor die Transformation überhaupt starten kann. Ein Verlust von rund 200.000 Arbeitsplätzen und ein jährlicher Wertschöpfungsverlust von rund 20 Milliarden Euro wären laut Prognos die unmittelbare Folge.

Auch wenn die Verhandlungen in Europäischem Parlament und Rat sowie die Trilog-Gespräche Verbesserungen gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag gebracht haben, drohen weiterhin erhebliche Mehrbelastungen von mehr als 9 Milliarden Euro im Zeitraum 2026 bis 2030. Es bleibt weiter zweifelhaft, ob dies durch einen wirksamen Grenzausgleich auch nur teilweise aufgefangen werden kann. Es gilt abzuwarten, ob die veränderten Rahmenbedingungen angesichts von Zeitenwende und Energiekrise auf der EU-Ebene angekommen sind. Umso mehr bleibt die Bundesregierung gefordert, sich weiter für einen Erfolg der Transformation in Brüssel einzusetzen.

Was 2023 wichtig wird

Trotz aller Herausforderungen und Umbrüche des Jahres 2022 ist die industrielle Transformation auf der Agenda geblieben. Viele entscheidende politische Fragestellungen für die Stahlindustrie in Deutschland haben allerdings noch einen offenen Ausgang und verlangen nach weiteren Schritten im neuen Jahr – in Berlin ebenso wie in Brüssel. Deshalb muss 2023 das Jahr werden, in dem neben der Überwindung der akuten Energiekrise auch die für die Transformation zentralen Rahmenbedingungen mit Nachdruck fortgesetzt werden.

Es geht zum einen darum, die Standortbedingungen für eine energieintensive Produktion in Deutschland und Europa so zu verbessern, dass sie auch perspektivisch wettbewerbsfähig bleiben kann. Zum anderen muss eine internationale Perspektive für den Absatz klimafreundlicher Grundstoffe wie Stahl geschaffen werden. Dies würde eine wirkliche industriepolitische Zeitenwende erfolgreich absichern.


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